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Offener Brief der sozialdemokratischen Basis für eine menschlichere Asylpolitik:

Asylrecht Verteidigen!

Der Worst Case ist eingetreten: Die Ampelkoalition hat der schärfsten Einschränkung des Rechts auf Asyl in Deutschland seit Jahrzehnten zugestimmt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser beschloss gemeinsam mit ihren EU-Amtskolleg*innen am 08. Juni 2023 die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems.  

Wir, das sind viele Sozialdemokrat*innen im ganzen Land, sind über diese Entscheidung zutiefst erschüttert. Wir alle sind dieser Partei beigetreten, weil wir an eine starke und solidarische Sozialdemokratie glauben. Diese Entscheidung ist jedoch weder sozialdemokratisch noch Menschen gegenüber würdig, die ihr Leben auf dem Weg in die EU in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft riskieren.

Es gibt keine Rechtfertigung für diesen Schritt, weil es nie eine Rechtfertigung dafür geben kann, Menschen in ihren schlimmsten Momenten nicht unsere Hilfe anzubieten. Diese Asylreform ist keine soziale Politik. Sie missachtet Menschenrechte. Sie steht der europäischen Idee entgegen.

Genau diese Haltung machen wir durch diesen offenen Brief deutlich. Anschließen kann sich jede*r, der*die das möchte, durch eine Unterschrift auf dieser Website und auf den sozialen Medien unter dem Hashtag #asylrechtverteidigen. Bildmaterial, mit dem wir uns gegen diesen Beschluss aussprechen, findet man zur freien Nutzung hier

Abschließend möchten wir unsere Haltung zu diesem Beschluss noch mal im Folgenden erläutern:

Grenzverfahren

  • Die Grenzverfahren gem.  Art. 43 AsylV-RL, welche bisher von einzelnen Mitgliedsstaaten durchgeführt wurden, sollen auf die gesamte EU ausgeweitet werden.
  • Die Ausweitung der „sicheren“ Drittstaaten (Art. 33 Abs. 2 lit. c. in Verbindung mit Art. 38 AsylV-RL) erlaubt die Ablehnung eines Antrags auf internationalen Schutz als “unzulässig”. Dies entspricht einer Ablehnung ohne eine echte Prüfung der Lage der betroffenen Person.
  • Durch die reformierten Grenzverfahren und die Ausweitung der als sicher anerkannten Drittstaaten wird die Ausnahme zur Regel: Beinahe alle Schutzsuchenden werden an Außengrenzen dem Grenzverfahren zugeleitet, wodurch viele Anträge als unzulässig abgelehnt werden und die Rückführung in Drittstaat veranlasst wird, ohne den Antrag jemals inhaltlich geprüft zu haben.

„sichere“ Drittstaaten

  • Anstatt rechtswidrige Abschiebepraktiken über den Drittstaatsmechanismus zu bekämpfen, werden sie durch diese Reform des europäischen Asylsystems legalisiert. 

  • Die Grundidee von sicheren Drittstaaten ist einfach: Wenn jemand Asyl sucht, ist es egal, welcher Staat ihm das gewährt. Beide müssen nur gleichwertigen Schutz gewähren.  Anstelle der EU-Mitgliedsstaaten, kann das Recht auf Asyl also auch in einem sicheren Drittstaat erfüllt werden.

  • In der Realität bedeutet dies zu häufig eine Tortur für die Betroffenen: Der “sichere Drittstaat” ist oftmals das Gegenteil von sicher. 

  • Zudem schiebt er die Asylsuchenden nämlich oft direkt weiter in einen – selbsterklärend noch unsicheren – “Viertstaat” ab. Diese als “Kettenabschiebung” bekannte Praxis wird durch eine Ausweitung der sicheren Drittstaaten vermutlich noch häufiger auftreten. Bei einer solchen Kettenabschiebung ist grds. schon die erste Abschiebung rechtswidrig, wenn die letzte Abschiebung rechtswidrig ist. Der Erststaat, in dem der Antrag gestellt wird, hat also die Wahl: Entweder wird der Asylantrag geprüft oder er muss die Lebensbedingungen und Asylverfahren im sicheren Drittstaat prüfen. Letzteres geschieht regelmäßig aber nur unzureichend.

    Die Anforderungen, um als sicherer Drittstaat eingestuft zu werden, sollen gesenkt werden. So toleriert es die EU, dass Menschen in prekärste Menschenrechtslagen abgeschoben werden.

Grenzhaft

  • Die Bedingungen der Unterbringung in Grenznähe stellen oft unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK dar, so insb. Lampedusa und Samos.

  • Insbesondere die Inhaftierung von Kindern in Grenzverfahren wird (Stand jetzt) ermöglicht. Das stellt die UN-Kinderrechtskonvention in Frage.

  • Grenzverfahren und entsprechende Haft können auch in Deutschland Realität werden, wenn Schutzsuchende unregistriert einreisen.

  • Es sind keine generellen Ausnahmen für vulnerable Gruppen (Schwangere, Kleinkinder, alte oder chronisch kranke Menschen) vorgesehen.

Anders als Faeser und Baerbock behaupten:

  • Auch Afghan*innen und Syrer*innen werden von Grenzverfahren betroffen sein: Kaum jemand reist direkt von seinem Herkunftsland nach Europa ein. Durchreisen sie also einen sicheren Drittstaat, kann auch bei Menschen aus Syrien und Afghanistan das Grenzverfahren angewandt, der Antrag als unzulässig gewertet und die Abschiebung in den Drittstaat durchgeführt werden.

  • Beispiel: Afghaninnen erhalten aktuell keine Visa durch die dortige Botschaft, sondern müssen eines im Iran oder Pakistan einholen. Reisen sie von dort nach Griechenland ein, werden sie inhaftiert, Grenzverfahren werden durchgeführt, Antrag wird als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung nach Iran/Pakistan durchgeführt.

Dublin-System

  •  Die Dublin-VO regelt die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Prüfung eines Asylantrags. Grundsätzlich ist das Land der (registrierten) Ersteinreise für die Prüfung der asylsuchenden Person verantwortlich.

  •  Auch hier soll verschärft werden: Die Normale Überstellungsfrist soll auf ein Jahr verdoppelt werden. Das heißt, dass erst nach einem Jahr die Zuständigkeit zur Prüfung auf das Land übergeht, in dem sich die schutzbedürftige Person befindet.

  • Diese Überstellungsfristen werden beim Untertauchen der Schutzsuchenden verdoppelt: Kirchenasyl wird so quasi unmöglich gemacht; oft erteilen Kirchen in besonderen Härtefällen Schutz für Asylsuchende, sodass der Staat auf den Zugriff auf die Person verzichtet. Durch die kirchlichen Kapazitäten wird das bei einer drei- statt eineinhalbjährigen Frist in Zukunft kaum noch möglich sein.

Pushbacks

  • Im Zuge der Reform (besonders Grenzverfahren) erhalten die EU-Grenzstaaten noch mehr Verantwortung. Insb. Griechenland und Kroatien sind für tägliche Pushbacks bekannt. Es ist sehr zu bezweifeln, dass sie Grenzverfahren ordnungsgemäß unter Beachtung der Grundsätze der Asylverfahrensrichtlinie durchführen.

Abschiebungen in unbekannte Drittstaaten

  • Mitgliedstaaten können Drittstaaten als “sicher “qualifizieren Diese müssen nicht mehr einen Personenbezug zu den Schutzsuchenden aufweisen, sodass Familien mit Kindern etwa in Länder abgeschoben werden könnte, in denen sie noch nie waren und der örtlichen Sprache gar nicht mächtig sind.

Eine derart unmenschliche Behandlung ist nicht vereinbar mit unserem Verständnis der Sozialdemokratie.

Wir fordern deshalb von unseren Genoss*innen im Europäischen Parlament diesen historischen Fehler mit allen in ihrer Macht stehenden Mitteln doch noch zu verhindern. Im Europäischen Parlament muss diese Reform wieder zu den Grundsätzen der Menschenrechte zurückfinden. 

Zudem muss geklärt werden, wie es zu dieser Entscheidung kam. Aus der Bundesregierung hört man von allen Seiten verschiedene Stellungnahmen. Was waren die Hintergründe, welche eine solche Entscheidung begünstigt haben? 

Wir verdienen Antworten.

Jetzt Brief mitunterzeichnen.

468 Unterschriften
Letzte Unterschriften
468 Ms. Ulrike D.
467 Ms. Beate G.
466 Dr. Annette S.
465 Mr. Holger N.
464 Mrs. Inken B.
463 Mr. Ole H.
462 Mr. Helmuth S.

Rückmeldungen oder Fragen? Wir freuen uns!